Selbstbestimmungsrecht durchsetzen - §219a streichen!

Am Samstag den 26. Januar fanden bundesweit Kundgebungen für die Abschaffung des §219a statt, mit dem Frauenärzt*innen kriminalisiert und das Selbstbestimmungsrecht von Frauen werden. Hier mein Redemanuskript: 

Liebe Anwesende, liebe Bremer*innen,

der Rechtsruck stellt auch lang erreichte Erfolge der Frauenbewegung wieder in Frage. Rechte und fundamentalistische Abtreibungsgegner, die sich anmaßenderweise„Lebensschützer“ nennen, kämpfen für einen gesellschaftlichen Rollback zurück bis mindestens in die 1950er Jahre. Der Paragraf 219 a gehört eindeutig zur Verhandlungsmasse eines Kulturkampfes von rechts, wir haben es hier mit einer Schlüsselfrage zu tun.

Was gesellschaftlich auf dem Spiel steht, ist eine Menge. Ganz unmittelbar von neurechten Repressionen betroffen, sind Ärzt*innen wie Kristina Händel, Nora Szasz und Natascha Nicklaus, die mit Hilfe des Unrechts-Paragraphen 219a angeklagt und verurteilt werden. Wir stehen heute hier, um Solidarität zu zeigen, mit Frauen, die dankenswerterweise über ihre Leistungen informieren und dafür vor Gericht gezerrt, verleumdet, bestraft und in ihrer Berufsausübung behindert werden. Zu dieser Solidarität gehört für mich, die rechtlichen Grundlagen dieser unerträglichen Situation zu ändern und den Paragrafen 219a aus der Strafgesetzgebung zu streichen.

Um einmal nachzuzeichen, warum wir hier heute stehen und die Abschaffung des Paragraphen 219a fordern, möchte ich Yannick Hendricks vorstellen. Er ist selbstberufener Denunziant, der aus der Anonymität des Internets agiert, namentlich nicht genannt werden möchte und unter anderem Kristina Hänel aus Gießen angezeigt hat. Im April 2018 hatte er der taz ein Interview gegeben. Dort heißt es:

„Wenn ich Zeit habe, am Wochenende meistens, suche ich in meinem Arbeitszimmer am Computer über Google nach Schwangerschaftsabbrüchen und danach, wo man die vornehmen könnte. Ich überlege mir: Wo würden schwangere Frauen im Internet suchen? Also auf Seiten von Arztpraxen. Ich gucke dann, ob ich auf Seiten stoße, auf denen angegeben ist, dass Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen werden. Wenn das der Fall ist, dann erstatte ich online Strafanzeige. Ich mache das jetzt seit gut drei Jahren und habe, würde ich mal schätzen, 60 bis 70 Anzeigen erstattet. Das ist halt so mein Hobby.“ Zitat Ende.

Ich kann gar nicht sagen, wie sehr mich so ein toxisches Handeln, so eine Welt- und Selbstwahrnehmung abstößt. Aber nichts geschieht im luftleeren Raum. Es ist das gesellschaftliche Klima, das Menschen wie Yannick Hendricks und anderen Akteuren seiner Art zu neuem Selbstbewusstsein und Oberwasser verhilft. Wir haben auf unendlich vielen Ebenen die Aufgabe, diese Rechtsentwicklung zurückzudrängen und ihrer Grundlagen zu entziehen. Am Ende des Tages sind die Aufgaben aber auch ganz konkret. Das heißt, zum Paragrafen 219a gesprochen: Der Gesetzgeber ist in der Pflicht, diesen Wahnsinn zu beenden. Es kann nicht angehen, dass sich Menschen wie Hendricks mithilfe eines Gesetzes ermächtigen können, Frauen das Leben schwer zu machen. 

Wir sagen: An dieser Stelle kann es keine Kompromisse geben, dieser Straftatbestand muss ersatzlos abgeschafft werden. Paragraph 219a muss weg, und meiner Meinung nach Paragraph 218 gleich mit dazu. Die Forderung auf Abschaffung zumindest des 219a stößt auch in der Bevölkerung auf breite Zustimmung. Kristina Hänel und Unterstützer*innen haben innerhalb kürzester Zeit 160.000 Unterschriften für die Sicherstellung des Informationsrechts für Frauen gesammelt.

Auch im Bundestag gibt es eine Mehrheit zur Abschaffung des Informationsverbotes, und die müssen wir endlich nutzen.

Die ganze historische Genese des Paragrafen wirft die Frage auf, warum er überhaupt noch Bestand hat: Der Paragraph 219a stammt aus der Nazizeit und zielt auf die Unterdrückung der Frau. Seit 1933 steht das ‚Werben‘ und damit auch jede öffentliche Information über Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe. Ärzte dürfen zwar unter gewissen Umständen inzwischen Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, aber sie dürfen nicht darüber informieren. Wir absurd das ist, hat sich in all den Monaten, in denen sich die Debatte zugespitzt hat, deutlich gezeigt. Um es nochmal klarzustellen: Ein Werbeverbot ist im Zusammenhang mit Schwangerschaftsabbrüchen vollkommen unsinnig. Keine Ärztin und kein Arzt hat im kommerziellen oder sonstwie anrüchigen Sinne für Schwangerschaftsabbrüche geworben. Und keine Frau nimmt einen Schwangerschaftsabbruch vor, weil sie auf Webseiten darüber gelesen hat, dass und wo das möglich ist. Auch diese Debatte um „Werbung – ja oder nein?“ strotzt nur so vor patriarchalen Zuschreibungen gegenüber Frauen und ihren Entscheidungsspielräumen.

Das Selbstbestimmungsrecht und der Zugang zu Informationen und sicheren Abbrüchen darf nicht weiter eingeschränkt werden, die Kriminalisierung von Ärzt*innen muss aufhören. Die Situation ist bereits dramatisch genug, wenn vor Beratungsstellen gegen Frauen protestiert werden, die in einer Notsituation Beratung und Hilfe suchen. Wenn ihre verbliebenen Anlaufstellen zum Spießrutenlauf werden. Wenn die Angebote weniger werden und weite Wege und Schikanen überwunden werden müssen. In Bremen hat eine parlamentarische Mehrheit erreicht, dass eine Liste mit Angeboten veröffentlicht wird. Auf dieser Liste findet sich keine niedergelassene Ärztin, kein niedergelassener Arzt oder einzelne Praxen, sondern im Wesentlichen Krankenhäuser. Die Versorgungssituation wird auch dadurch enger, dass an Unis kaum noch Kompetenzvermittlung stattfindet, mitunter organisieren sich Medizinstudierende selbst, damit Wissen hier nicht verloren geht. Wir möchten keine Zustände, wo Frauen ins Ausland oder auf Hinterhöfe müssen, um einen Abbruch vorzunehmen. Wir wollen, dass das Selbstbestimmungsrecht von Frauen über ihre Körper, Sexualität und Reproduktion im Jahre 2019 ohne Kompromisse gilt. Vielen Dank!