Queerpolitik: Seehofers Minimallösung zur "Dritten Option" ist denkbar weit von einem fortschrittlichen Geschlechtervielfaltsgesetz entfernt


Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur dritten Option vom Oktober 2017 ist ein Meilenstein: Es verpflichtet die Bundesregierung, bis zum Jahresende 2018 der größer bzw. sichtbarer werdenden Community an Non-Binären, inter*- und trans*-Menschen endlich per Gesetz breitere Anerkennung und geschlechtliche Identitätsmöglichkeiten zu eröffnen. Ihre Rechte und ihr Schutz vor Diskriminierung müssen gestärkt und sichergestellt werden. Die alternativlose Zuordnung aller Bürger*innen in das binäre Geschlechterschema „Mann-Frau“ wurde für verfassungswidrig erklärt. Die Umsetzung einer „dritten Option“ per Gesetzentwurf und begleitenden Maßnahmen und Konzepten steht nun aus, zuständig ist das Bundesinnenministerium. Doch bislang dringt über den Stand der Umsetzung nur Ernüchterndes durch. 

Eine Recherche von BuzzFeedNews machte Anfang Mai bekannt, dass es einen Referentenentwurf gibt, demzufolge als dritte Option ein Geschlechtereintrag unter dem Titel „anderes“ vorgesehen ist.  Auf schriftliche Nachfragen u.a. meinerseits gab es vom zuständigen Innenministerium keine Bestätigung und auch keine groß darüber hinaus gehenden Auskünfte. Nun liegt ein neuer, wohl ressortabgestimmter Entwurf vor, der leider kaum Besserung bringt. Meine Kritik an dieser Intransparenz und dem durchgesickerten Umsetzungsstand: 1. Geht es nicht, dass bei der Erarbeitung des Gesetzentwurfs nicht mit den Verbänden gesprochen wird, die sich seit Jahren mit den Rechtsfragen beschäftigen, Vorschläge sondiert haben und Expertise aus Betroffenenperspektive beisteuern können. 2. Eine Änderung des Personenstandsgesetzes nur dahingehend, dass als dritte Option „anderes“ oder laut neuem Stand: „weiteres“ angegeben werden kann, bleibt hinter den Erwartungen und Hoffnungen (und hinter den Möglichkeiten, die das Urteil des BVerfG eröffnet hat) weit zurück. Auch ein Zuschnitt der Umsetzung auf die inter*-Community ist nicht im Sinne eines umfassenden „Geschlechtervielfaltsgesetz“, für das es höchste Zeit ist. Wenn bei der Umsetzung durch das CSU-geführte Innenministerium trotzdem nur auf einen neuen „Geschlechtsparagrafen 45b“ für inter*-Personen abgezielt und dabei am medizinischen Begutachtungszwang festgehalten wird, ist leider zu befürchten, dass die leidvolle Pathologisierung von Geschlechtervarianz fortgesetzt wird. Offenkundig ist, dass Horst Seehofer das Urteil äußerst minimal und ohne angemessene Beteiligung oder Anerkennung der Betroffenen umsetzen will.


DIE LINKE fordert, die notwendige Reform des Personenstandsrechts dafür zu nutzen, unsere Rechtsordnung über die bisher dominierende binäre Geschlechtersystematik hinaus zu öffnen. Konkret muss jetzt passieren, dass der medizinische Begutachtungszwang, an dem Seehofer festhält, gestrichen wird zugunsten eines unkomplizierten, selbstbestimmten Verfahrens für den Eintrag und die Änderung des rechtlichen Geschlechts. Damit diese Öffnung auch für Trans* zugänglich ist, muss das Transsexuellengesetz mit den darin vorgesehenen teuren, psychisch enorm belastenden Gerichtsverfahren samt Gutachten abgeschafft werden. Zweitens müssen endlich medizinisch nicht notwendige geschlechtsangleichende Operationen an Säuglingen und Kindern verboten werden. Der relative Zeitdruck und Streitigkeiten über Federführungen im Kabinett sind denkbar schlechte Argumente, den Betroffenen nicht endlich Leid zu ersparen. Nicht zuletzt fordern wir, dass im Sinne einer umfassenden Reform zugunsten von Geschlechtervielfalt und Selbstbestimmung endlich auch das Abstammungsrecht reformiert wird. Denn in seiner jetzigen Form stehen die Regelungen vielfältigen Familienformen noch immer im Weg. Von Geburt an automatische Mutterschaft bei Zwei-Mütter-Ursprungsfamilien muss ebenso selbstverständlich möglich sein wie Elternschaft für trans*-Menschen.

Eine ausführliche Stellungnahme zum Gesetzentwurf folgt.