Queerpolitik im Frühjahr 2019: OPs an intersexuellen Kindern endlich stoppen. Auch Menschenrechtslage in Tschetschenien duldet keinen Aufschub

I. 

Obwohl der Handlungsbedarf zur Operationspraxis an intergeschlechtlichen Kindern auch im Bundestag schon vielfach thematisiert wurde, hat sich seit Jahren nichts getan: Die Operation an Genitalien und hormonproduzierenden Keimdrüsen von Kindern, deren körperlichen Merkmale nicht in die medizinischen Schubladen von »weiblich« und »männlich« passen – oft (selbst-)bezeichnet als intergeschlechtliche Menschen – findet statt. Zwischen 2005 und 2016 wurden durchgängig rund 20 bis 28 Prozent der Kinder (unter 10 Jahre), die eine Diagnose aus dem weiten Feld der Varianten der Geschlechtsentwicklung erhielten, medizinisch behandelt. Insgesamt werden 1.700 bis 2.000 Kinder jährlich maskulinisierend oder feminisierend operiert.  Doris Achelwilm kommentiert: "Obwohl sich aus Wissenschaft und Politik mehrheitlich für eine Beendigung dieser Praxis ausgesprochen wird, steht auch hier die Zeit still. Ein Rückgang an geschlechtsnorminerenden OPs ist leider nicht festzustellen. Jedes Kind hat das Recht auf körperliche Unversehrheit und Selbstbestimmung. Damit dieses Recht endlich wahr wird, muss die GroKo ihren Absichtserklärungen Taten folgen lassen und gesetzliche Maßnahmen auf den Weg bringen." 

Seit 2011 lässt sich die Bundesregierung zur Lebenssituation von Menschen mit intergeschlechtlichen Körperlichkeiten informieren. Zunächst durch den Ethikrat mit einer 200-seitigen Stellungnahme im Jahr 2012. Dann im Rahmen der Interministeriellen Arbeitsgruppe (IMAG) „Trans- und Intersexualität“ von Ende 2013 bis Mitte 2017 mit zwölf umfangreichen Dokumentationen. In den verschiedenen UN-Ausschüssen wurden Deutschlands Regierungen in dieser Zeit mehrfach auf den gesetzgeberischen Handlungsbedarf wegen der stattfindenden Operationspraxis hingewiesen: in Bezug auf die UN-Folterkonvention (CAT), auf die UN-Kinderrechtskonvention (CRC) und die UN-Frauenrechtskonvention (CEDAW). 

Das Thema fällt nicht vom Himmel und ist schon mehrfach im Bundestag behandelt worden, auch im Zusammenhang mit dem LINKEN-Antrag „Selbstbestimmung, Gleichbehandlung, körperliche Unversehrtheit: Die Grund- und Menschenrechte zur geschlechtlichen Vielfalt gewährleisten“ im Herbst 2018 (http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/048/1904828.pdf). Es gibt seit Jahren warme Worte von Union und SPD für die Betroffenen im Land. Der Stopp von Operationen an intergeschlechtlichen Kindern steht im Koalitionsvertrag, aber wir sehen: nichts. Schluss mit der Aufschieberitis, es ist Zeit zu handeln. Die Fraktion DIE LINKE hat einen Antrag zum Stopp dieser OPs eingereicht. Er findet sich hier: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/090/1909056.pdf.
 

II. 

Seit dem Frühjahr 2017 gibt es vermehrt Berichte aus Tschetschenien, dass homosexuelle Männer und Frauen unter der Regierung von Ramsan Kadyrow  in Lagern inhaftiert, gefoltert und ermordet oder in ihrem familiären oder persönlichen Umfeld zu einer heteronormativen Lebensführung angehalten oder gezwungen werden (www.spiegel. de/panorama/gesellschaft/tschetschenien-gewalt-gegen-schwule-jetzt-hilft-nur- noch-die-ausreise-a-1141666.html). Am 18. März 2019 haben über 30 Staaten, darunter Deutschland, einen UN-Brief zum Thema Verfolgung Homosexueller in Tschetschenien mitunterzeichnet: Die EU wirft den Behörden in der russischen Republik Tschetschenien die Misshandlung und mögliche Ermordung von Angehörigen sexueller Minderheiten vor. Die Lage ist dramatisch: Seit Dezember sollen mindestens 40 schwule und lesbische, intersexuelle und trans*-Bürger*innen eingesperrt und gefoltert worden sein. Mindestens zwei von ihnen sollen an den Folgen von Misshandlungen gestorben seien. Mit einer Kleinen Anfrage möchte die Fraktion DIE LINKE wissen, wie die Kenntnisse und Bemühungen der Bundesregierung zu diesem Thema sind: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/087/1908773.pdf. Die Antwort der Kleinen Anfrage folgt in Kürze.