Gestern Abend war die Journalistin Mesale Tolu zu Gast in meinem Bremer Büro, um aus ihrem Buch "Mein Sohn bleibt bei mir" zu lesen und mit uns zu diskutieren.

Mesale Tolu wurde nach dem Putschversuch 2017 während Erdogans massiver Repressionswelle vor den Augen ihres Sohnes in Istanbul festgenommen. Deutsche Behörden waren zunächst nicht informiert. Es gab keinen Haftbefehl, der Vorwurf lautete pauschal auf Verbreitung von Terrorpropaganda. Auch die Haft von Deniz Yücel und Peter Steudtner fiel in diese Zeit. Durch massiven öffentlichen Druck kam Mesale Tolu, die in Ulm lebt und aufwuchs und kurdische Wurzeln hat, Ende 2017 nach Schauprozess und diplomatischem Druck letztlich frei. Ihr Mann unterlag weiter einer Ausreisesperre. Den schlechten Haftbedingungen unterlag auch Tolus kleiner Sohn, den sie mitnahm: keine Windeln, kein Spielzeug, nichts. Die Solidarität der Mitinsassinnen hat die Situation erträglicher gemacht. Ihnen sind auch die letzten Worte des Buches gewidmet, das ich nur empfehlen kann.

Im Februar soll das Schlussplädoyer ihres laufenden Gerichtsverfahrens folgen, es ist mit einer noch längeren Prozesskette zu rechnen. Aktuell befinden sich 57 deutsche Staatsbürger*innen in türkischer Haft. Oppositionelle, Minderheiten, Journalist*innen: Für sie alle hat Erdogan die Gefängnisse ausbauen lassen, während die Wirtschaft schwächelt und völkerrechtswidrige Kriege angezettelt werden - auch, um von der innenpolitischen Misere abzulenken, und zur direkten Zerschlagung eines selbstverwalteten Rojava natürlich.

Der EU-Flüchtlingsdeal mit Erdogan muss aufgekündigt, der laufende Angriffskrieg so benannt und verurteilt werden. Die Rüstungsexporte sind vorerst gestoppt, die wirtschaftlichen Beziehungen gehen weiter. Eine andere Konsequenz ist möglich, damit die Einhaltung von Menschenrechten in der Türkei nicht nur Sache der Personen sind, die bedroht sind oder erlebt haben, wie es abgeht. Größten Respekt an Mesale Tolu und ihren öffentlichen Kampf gegen Ungerechtigkeit und Verfolgung in der Türkei.