Einblicke in das Denkuniversum von Karl Marx - Nachbericht zum Vortragsabend mit Alex Demirović

Am Freitag, 7. September, war der Sitzungsraum im Abgeordnetenbüro von Doris Achelwilm gut gefüllt mit Menschen, die ein Interesse haben am Erkennen und Verändern der Welt. Mit dem Frankfurter Sozialwissenschaftler Alex Demirović gingen sie der Frage nach, welche Konsequenzen aus dem Werk von Karl Marx für eine eingreifende linke Praxis heute zu ziehen sind.

Demirović wies darauf hin, dass es Marx stets darum gegangen sei, gesellschaftliche Verhältnisse zu schaffen, in denen die Freiheit größer würde, je mehr Menschen sie genießen können. Von daher sei sein Denken auf keinen Fall von einer entsprechenden politischen Praxis zu trennen. Es ging  – so sagte Alex Demirovic – im Anschluss an Marx nicht um einen nur anschauenden Materialismus, sondern darum zu begreifen, dass die uns umgebende Umwelt die von uns gemachte Umwelt ist. Daran schließt sich fast notwendig die Frage an, wie die Menschen sich die Welt aneignen und sie verändern. Von diesem Ausgangspunkt wandte sich Demirović in seinen Ausführungen den aktuellen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen zu und plädierte dafür, das wissenschaftliche Instrumentarium, das von Marx, aber auch von Antonio Gramsci und anderen Marxist*innen entwickelt wurde, zur Analyse der Verhältnisse zu nutzen, ohne die Urheber*innen zu glorifizieren – eine „nicht-theologische, materialistische Form der Lektüre, die die Theorie als ein Produktionsverhältnis begreift, in dem mit historisch vorgefundenen Begriffen auf spezifische Weise neue Begriffe zur kollektiven Aneignung und Bearbeitung der sozialen Verhältnisse ausgearbeitet werden.“ Auf diese Weise könne der Impuls, der vom Werk von Marx ausgeht, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein verächtliches Wesen ist, am ehesten fruchtbar gemacht werden.

Mit einem kritischen Blick auf die vorherrschende linke Praxis machte Alex Demirović aber auch auf den Geschichtsverlust aufmerksam, der allzu oft in linken Bewegungen anzutreffen sei. Sie führe auch dazu, dass bestimmte Kämpfe – etwa um Wohnungen, Kultureinrichtungen oder Demokratie in den Betrieben – immer wieder neu zu führen sind, weil die Erfolge vergangener Kämpfe nicht mehr als solche erkannt würden. Um jedoch Errungenschaften nachhaltig zu sichern, sei es notwendig, die gesellschaftlichen Verhältnisse grundlegend zu verändern und sich damit in der Tradition von Marx zu positionieren, der – nicht zuletzt in der berühmten Feuerbachthese – darauf bestanden hat, dass es darauf ankommt, die Welt zu verändern.

In der anschließenden Diskussion gerieten vor allem die vielfältigen politischen Erfahrungen der Anwesenden in den Blick. So wurde etwa erörtert, inwieweit der Begriff der Klassen noch tragfähig sei und auf welche Weise die gesellschaftliche Linke auf den Rechtsruck, die fortschreitende Neoliberalisierung immer weiterer Lebensbereiche und den Sozialabbau reagieren muss. Alex Demirović machte sich in diesen Zusammenhängen dafür stark, an den marxistischen Begriffen ebenso festzuhalten wie an als richtig erkannten Positionen, und sie nicht als antiquiert aufzugeben – sie bilden Realitäten nach wie vor korrekt ab und lohnen jede vertiefte oder aktualisierte Auseinandersetzung. Zugleich warnte er aber auch davor, neue Herausforderungen nicht wahrzunehmen. Es sei dringend nötig, die sozialen Kämpfe nicht zu vereinzeln und voneinander abzugrenzen, sondern gemeinsame Erfahrungen und Handlungsperspektiven zwischen den Generationen, Geschlechtern, Herkunfts-, Migrations- und Organisationserfahrungen zu stärken. 

Der spannende Vortrag und die angeregte Diskussion haben erneut gezeigt, dass Marx auch heute noch eine Vielzahl von analytischen Instrumenten, Einsichten und Erfahrungen für eine eingreifende linke Praxis zu bieten hat. Auch darum ist ein gründliches Eindringen in sein Denkuniversum sinnvoll.